Rezensionen Strafrecht

Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 1. Auflage, Deutscher Anwaltverlag 2011

 

Der Deutsche Anwaltverlag schickt in gebundener Ausgabe einen brandneuen Erstling auf seine Jungfernfahrt in die bereits gut gefüllte See der StGB-Kommentare. Im Vorwort wird eröffnend auch sogleich Stellung zu der sich aufdrängenden Frage genommen, weshalb ein weiterer Kommentar überhaupt von Nöten ist, wobei diese Selbstrechtfertigung für ein gutes Produkt eigentlich entbehrlich ist. Und, um diesen Eindruck gleich vorweg zu nehmen, es handelt sich um ein gelungenes Unterfangen, Schiffbruch wird dieser mit seinen 2.250 Seiten stämmige Segler sicherlich nicht erleiden.

 

Der Neuling macht einen sehr guten Eindruck und zeichnet sich durch diverse Vorzüge aus. Diese sind teils in der Konzeption und Gliederung selbst, teils in der drucktechnischen Gestaltung, aber natürlich auch inhaltlich bedingt. Das Autorenteam ist für einen Handkommentar außergewöhnlich groß und umfasst nicht weniger als 49 Bearbeiter. Deren Arbeitsbeiträge zu koordinieren und (auch terminlich) unter einen Hut zu kriegen, muss nicht ganz einfach gewesen sein. Die Autoren rekrutieren sich aus den unterschiedlichsten Bereichen des Strafrechts – Anwälte, Staatsanwälte, Richter, Professoren, Ministerialbeamte. Eine bunte, aber hoch qualifizierte Melange, die ihren gesamten Erfahrungsschatz in die Kommentierung einbringt. Der Vorteil eines solchen Autorenteams liegt natürlich darin, dass jeder Teilbereich von einem Spezialisten bearbeitet werden kann, was der Qualität und Zuverlässigkeit des Werks zugute kommt.

 

Das Werk erscheint als ausschließliches Printmedium. Eine Kombination mit elektronischen Datenträgern oder einer Internetdatenbank ist nicht enthalten. Es handelt sich um ein Stand-Alone. Das Buch begreift sich als echter und ausschließlicher Kommentar. Anhänge mit Mustern, Vorlagen oder dergleichen sind daher ebenfalls nicht vorhanden. Wer dies als Manko sieht, der sei eben vor dem Kauf darauf hingewiesen. Dies sollte dem Erwerb jedoch nicht im Wege stehen. Der Kommentar ist sehr gut. Sein größter Vorteil ist seine Übersichtlichkeit. Die Gliederung folgt einem klassischen Aufbau in drei Teilen: Allgemeines, Regelungsgehalt und praktische Hinweise. Schlagworte und wichtige Stichworte innerhalb des Fließtexts sind durch Fettdruck hervorgehoben und erleichtern die Orientierung. Was die Lesbarkeit im Vergleich zu vielen anderen Kommentaren enorm steigert – und somit den praktischen Wert in der alltäglichen Nutzung – ist die Tatsache, dass quasi sämtliche Fundstellen zu den zitierten Urteilen oder Literaturstellen in die Fußnoten verschoben wurden. Der Fließtext wird hierdurch erheblich bereinigt und sowohl das Verständnis als auch vor allem die Zugriffsgeschwindigkeit deutlich erhöht. Man kennt das sonst: der – vielleicht durch kryptische Abkürzungen ohnehin nicht gut lesbare – Text wird durch ellenlange Klammereinschübe mit Fundstellenangaben überfrachtet, wodurch sich ein Satz über mehrere Zeilen erstrecken kann und man in der Mitte nicht mehr weiß, wie der Satz überhaupt angefangen hat. Dies hat man im vorliegenden Werk hervorragend vermieden. Dies führt zwangsläufig dazu, dass die Fußnoten teilweise 30-50% einer Seite ausmachen können. Dennoch ist der Kommentar immer noch aufgeräumt und leicht zu lesen. Gleiches gilt auch für das detaillierte und umfangreiche Stichwortverzeichnis, welches ohne einen einzigen zeitraubenden Querverweis à la „vgl. auch“/“siehe auch“ auskommt. Ein Blick, ein Treffer. Ein übriges trägt die verständliche Sprache bei. Der Kommentar dürfte in der Praxis wohl hauptsächlich von Fachanwälten in Anspruch genommen werden. Dank seiner einfachen und direkten Sprache werden sich aber auch Gelegenheitsstrafrechtler gut zurechtfinden (was im übrigen als generelles Merkmal die Reihe der AnwaltKommentare des Deutschen Anwaltverlags auszeichnet). Auch Richter und Staatsanwälte können ohne Bedenken zugreifen. Der Praktiker kann hier schnelle, wissenschaftlich gut aufbereitete und zuverlässige Hilfe erhalten. Das Werk braucht sich vor der etablierten Konkurrenz nicht zu verstecken. Schiff ahoi.

 

11.01.2011

 

Ostendorf, Jugendstrafvollzugsrecht, 2. Auflage, Nomos 2012


Wer sich ernsthaft mit Jugendstrafsachen befasst, kann sich nicht ausschließlich mit dem Jugendstrafrecht befassen und es dann dabei bewenden lassen. Am Jugendstrafrecht führt dann kein Weg vorbei. Das von Ostendorf herausgegebene und auch mitverfasste Werk zum Jugendstrafvollzugsrecht erschien erstmals in 2009 und erntete viel Lob aus der Fachwelt. Mit der nun vorgelegten zweiten Auflage untermauert das Werk seinen Führungsanspruch auf einem Rechtsgebiet, welches trotz enormer praktischer Relevanz und Bedeutung für alle Betroffenen eine, im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten, nur unterdurchschnittliche Anzahl von Veröffentlichungen aufweisen kann. Der Ostendorf ist ein überaus empfehlenswertes, detailreiches und sehr umfangreiches Handbuch zum gesamten Jugendstrafvollzugsrecht. Der interdisziplinäre Charakter des Jugendstrafvollzugs wirkt sich auch auf die Konzeption des Werks aus und beeinflusst bereits die Auswahl der Autoren. Die verschiedenen Beiträge werden verfasst von Vertretern diverser Fachgebiete, die mit dem Vollzug befasst sind: Rehapädagogen, Psychologen, Führungspersonal und Leitung von Jugendstrafanstalten und JVAs, Vertreter aus Forschung und Lehre zum Jugendstrafvollzugsrecht, Richter, Rechtsanwälte, Strafverfolger. Sie alle tragen mit ihrem speziellen Blickwinkel, forensischen Erfahrungsschatz und hochspeziellem Wissen ein über 700 Seiten starkes Kompendium zusammen, mit welchem sich in Wissenschaft und Praxis gut arbeiten lässt.

Es muss eine sehr zeitintensive Arbeit sein, die nur sehr spärlich ergehenden und veröffentlichten Entscheidungen zum Jugendstrafvollzugsrecht zusammenzutragen und auszuwerten. Doch der Anspruch von Herausgeber und Autoren ist groß. Die Rechtslage wird nicht pauschal dargestellt, sondern noch dazu rechtsvergleichend für sämtliche Bundesländer mit jeweiligem Nachweis und Synopsen zu den einschlägigen geltenden landesrechtlichen Vorschriften aller Länder. In den Synopsen werden die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften sogar wörtlich zitiert, was weitere Recherche erübrigt und dem praktischen Anwender somit zugleich eine Zeitersparnis bringt. Das ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Dienstleistung, welche das Werk für jeden mit dem Thema Befassten zu einem Must-Have macht. Stellenweise geht der Rechtsvergleich auch über die Bundesgrenzen hinaus und die Autoren werfen auch mal einen Blick nach Österreich und in die Schweiz.

Das Werk ermöglicht mit dieser rechtsvergleichenden Arbeitsweise und mit seinen unzähligen in die Fußnoten verschobenen Literaturhinweisen ein exaktes wissenschaftliches Arbeiten. Das Literaturverzeichnis legt in seinem Umfang weiteres Zeugnis hierzu ab. Die Literatur wird jedoch nicht nur benannt oder zitiert, sondern auch ausgewertet.

Ein weiterer Vorteil des Werks ist seine thematische Gliederung, nach welcher sich die zum praktischen Fall und der Vollzugsalltagssituation gestellte Frage zügig finden und fundiert beantworten lässt. Immer wieder auftauchende Fragen und Themenkreise wie Unterbringung und Versorgung, Schule, Ausbildung, Arbeit, Freizeit, Religionsausübung und Außenkontakte werden ebenso aufbereitet, wie Sicherheit und Ordnung, unmittelbarer Zwang und erzieherische Maßnahmen. Bereits die einführenden Vorbemerkungen und Grundlagen sind höchst informativ und aufschlussreich. Das Werk liefert zudem viele valide Zahlen und Statistiken, die einen Blick in die tatsächlichen Gegebenheiten eröffnen und das Gesamtverständnis zum Jugendstrafvollzug erweitern.



29.10.2012

 

 

Peter, Das 1x1 der Hauptverhandlung, 2. Aufl., Deutscher Anwaltverlag 2011

 

Der kleine Helfer von Rechtsanwalt Frank K. Peter, zugleich Fachanwalt für
Strafrecht, erscheint in der Reihe AnwaltsPraxis des Deutschen Anwaltverlags in neuer Auflage ohne konzeptionelle Änderungen. Der Autor kommt
in ca. 420 Seiten und kleinem, handlichen Format gezielt auf den Punkt. Das
Buch hangelt sich in insgesamt 50 Kapiteln am Verlauf der Hauptverhandlung
entlang und stellt derart strukturiert die typischen prozessualen Situationen
dar, denen sich der Strafverteidiger gegenübersehen kann. Das Werk ist
ausschließlich an der gerichtlichen Praxis orientiert und bietet für jede der
beschriebenen Situationen und Herausforderungen eine Reaktionsmöglichkeit. Denn
ganz gleich, wie gut man vorbereitet ist: manchmal nimmt die mündliche
Verhandlung einen völlig unerwarteten Verlauf und dann muss man reagieren
können. Wer noch neu oder unsicher ist, findet hier Hilfe. Zielgruppe des Werks
ist jeder, der sich an die verantwortungsvolle Aufgabe des Strafverteidigers
heranwagt, besonders Neueinsteiger und Gelegenheitsverteidiger finden hier
wertvolle Anleitung und Tipps. Dabei sieht sich der Verfasser stets als
helfender Ratgeber, nicht als Oberlehrer.

 

Das Buch ist im Vergleich zur Vorauflage um zwei Kapitel erweitert worden, nämlich
eines zum Thema Hauptverhandlung in der Berufung und eines zur
Pauschalvergütung gemäß §51 Abs. 1 RVG. Gegliedert sind die Kapitel in sieben
Teile, wovon die ersten Vier die Hauptverhandlung zum Gegenstand haben und Teil
Fünf sich der Berufungshauptverhandlung zuwendet. Die beiden letzten Teile
widmen sich Vergütungsfragen.

 

Wie der Titel bereits sagt, beschränkt sich das Werk auf die Hauptverhandlung,
Ermittlungs- und Zwischenverfahren bleiben außen vor. Zweck des Buches ist es,
einen geordneten Überblick über den gesamten Verlauf der Hauptverhandlung zu
geben und die dort auftretenden Probleme und Aufgaben zu meistern. Dies gelingt
auch durch die clevere Konzeption des Buches. Die chronologisch geordneten Kapitel
sind so knapp als möglich gehalten, manche von ihnen nicht einmal eine Seite
lang. Die Sprache ist kurz, prägnant, rein informationsvermittelnd unter
Verzicht auf alles Überflüssige. In den Fußnoten findet sich überwiegend die
Rechtsprechung des BGH. Man findet hier genau das, was man als Anwalt in der
konkreten Situation braucht: wie wird es gemacht, was muss ich jetzt tun? Viele
Checklisten, Übersichten und erläuternde Schaubilder, etwa zu den
zeugnisverweigerungsberechtigten Personen im Sinne des §52 StPO geben schnell
Aufschluss. Zusätzliche Sicherheit bieten die vom Autor eingestreuten
Praxistipps. Zugleich finden sich zahlreiche Schriftsatzmuster, deren
Formulierungen man direkt verwenden kann, übrigens auch in mündlicher Form,
z.B. bei der Stellung von Anträgen.

 

Wichtige Kapitel sind, korrespondierend zu ihrer praktischen Bedeutung, ausführlicher gehalten. Dies gilt insbesondere für die Kapitel 23 bis 25, welche das
Beweisrecht und die Zeugenvernehmung zum Gegenstand haben. Hier finden sich
auch Tipps zur Fragetechnik und Zeugenpsychologie. Dem Autor gelingt es, die
richtigen Schwerpunkte zu setzen.

 

Das Werk ist auf die praktische Nutzung ausgelegt. Die Darstellung ist auf das zu
diesem Zweck Notwendige reduziert. Die relevanten Vorschriften werden genannt,
aber nicht kommentargleich erläutert. Es ist kein rechtswissenschaftliches
Werk, sondern ein Ratgeber, letztlich ein Buch, das man auch einfach mit in die
Hauptverhandlung nehmen kann, wenn man dies möchte. „Alte Hasen“ werden dieses Buch nicht brauchen. Den anderen sei dieser äußerst gelungene Crashkurs zur Praxis der Hauptverhandlung jedoch empfohlen. 

 

06.09.2011

 

 

Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Auflage, C.H. Beck 2010

 

Der neue Schönke/Schröder ist erschienen – endlich, möchte man sagen, gingen doch immerhin vier Jahre Wartezeit ins Land. Ungewöhnlich ist dies für dieses Werk allerdings nicht, es gab auch schon größere Zeitabstände zwischen zwei Auflagen. Vier Jahre, in denen sich dennoch viel ereignet hat, auch im Autorenteam, denn leider sind die Mitkommentatoren Peter Cramer, Theodor Lenckner und Walter Stree seit Erscheinen der Vorauflage verstorben. Inhaltlich mussten dreiundzwanzig Änderungsgesetze eingearbeitet und die seit 2006 ergangene Rechtsprechung  wissenschaftlich ausgewertet und auf den neuesten Stand gebracht werden. Insgesamt also keine kleine Aufgabe.

 

Und wie immer – der Leser wird nicht enttäuscht. Das Standardwerk bleibt seinem Anspruch treu, „Mittler zwischen Theorie und Praxis zu sein“. Der Schönke/Schröder ist und bleibt der wichtigste und beste einbändige Referenzkommentar zum deutschen Strafgesetzbuch. Der Kommentar, den man immer als ersten zur Hand nimmt, der in Uni-Bibliotheken in der neuesten Auflage stets vergriffen ist und der vielleicht am häufigsten zitiert wird.

 

Im Umfang ist das Werk auf nunmehr 3.000 Seiten angewachsen (wen es interessiert: das Buch bringt mittlerweile stolze 2.280 g auf die Waage). Die Darstellung des europäischen Strafrechts ist ein wenig ausgebaut worden in Hinblick auf den Vertrag von Lissabon und die damit verbundenen Einflüsse. Vollständig überarbeitet wurde das Sanktionenrecht der §§38 – 51 und 56 – 72 StGB. Berücksichtigt sind auch die mit dem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten neu geschaffenen §§89a, 89b und 91 StGB. Eingearbeitet wurden auch die Änderungen, die das neue Patientenverfügungsgesetz im Bereich der Straftaten gegen das Leben gebracht hat (Stichwort: Einwilligung). Viele andere Passagen wurden ergänzt und überarbeitet und auf den neuesten Stand der Rechtsentwicklung gebracht. Konzeptionelle Änderungen an der Grundstruktur des Kommentars und seiner Funktionsweise waren nicht erforderlich. So findet man sich schnell in gewohnter Umgebung zurecht. Sehr praktisch ist, dass einige Vorschriften – nämlich solche mit umfangreicher Kommentierung – nicht nur ein Inhaltsverzeichnis, sondern auch ein eigenes kleines Stichwortverzeichnis vorangestellt bekommen, was dem Anwender das Auffinden seines speziellen Problems in der Praxis erleichtert und insgesamt die Zugriffsgeschwindigkeit des Kommentars erhöht und damit seinen praktischen Nutzen überhaupt. Das Hauptstichwortverzeichnis selbst, welches von einigen als Indikator für die Qualität eines Kommentars herangezogen wird, glänzt ebenfalls durch Detailreichtum und Übersicht und kommt trotz des Umfangs des Buchs mit nur 40 Seiten aus. Man verliert sich nicht darin und findet schnell das Gesuchte.

 

Die Kommentierung selbst erfolgt auf  höchstem  rechtswissenschaftlichen  Niveau. Sie ist umfassend und streng dogmatisch, und trotz allem instruktiv. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, liegt doch der Sinn eines Kommentars in der Hilfestellung für den Rechtsuchenden, nicht in der bloßen Darbietung von Wissen. Das hier zusammengetragene aktuelle Wissen ist didaktisch hervorragend und zugleich praxisrelevant aufbereitet. Dies ist genau das, was den Schönke/Schröder für den Studenten ebenso wertvoll macht wie für den erfahrenen Richter oder Rechtsanwalt. Bei allem wissenschaftlichem Tiefgang – der übrigens nicht der Lesbarkeit schadet – handelt es sich dennoch um einen Praxiskommentar.  Es ist ein zuweilen auch kritischer Kommentar, wie man etwa im Rahmen der rechtspolitischen Hintergründe zum Stalking-Paragrafen §238 StGB erkennen kann. Werden Mindermeinungen vertreten, so werden diese auch als solche kenntlich gemacht, so dass man als Student nicht in die „herrschende-Meinung-die-gar-keine-ist-Falle“ tappt.

 

Das Problem eines Kommentars, der nicht wie viele Konkurrenzprodukte ein jährliches Update erfährt und nur in solchen größeren, unregelmäßigeren Abständen neu aufgelegt wird, liegt auf der Hand: nach spätestens zwei Jahren hinkt er Rechtsprechung und Gesetzgebung hinterher und hat seine Aktualität eigentlich eingebußt. Man muss ganz zwangsläufig zu anderen Werken greifen, will man sich über aktuelle Entwicklungen informiert halten. Dennoch schafft es der Schönke/Schröder dank seiner immensen Substanz, diesem „natürlichen Verfall“ zu widerstehen und als Standardwerk unangegriffen zu bleiben. Ein dickeres Lob kann es für die Qualität eines Kommentars gar nicht geben. Der Schönke/Schröder wird auch in den nächsten Jahren die maßgebliche Referenz bleiben – bis zur nächsten Auflage.

 

09.08.2010

 

 

Sommer, Effektive Strafverteidigung, 1. Aufl.,  Carl Heymanns Verlag 2011

 

Dieser Erstling ist ein höchst interessantes Buch. Verfasst wurde das Werk von Prof.
Dr. Ulrich Sommer, einem der angesehensten Strafverteidiger der Republik, der
sich durch zahlreiche Publikationen wie etwa dem Anwaltkommentar StPO von Krekeler/Löffelmann/Sommer oder seine Fachanwaltsausbildungen für die Deutsche Anwaltakademie auszeichnet. Mit dem vorliegenden Werk zeigt Sommer unter anderem auf, wie stark der bei allen Beteiligten hervortretende menschliche Faktor das Strafverfahren, insbesondere die Hauptverhandlung, prägt und wie damit umgegangen werden kann.

 

Der Titel „Effektive Strafverteidigung“ legt die Vermutung nahe, dass es sich um
eine Art Handlungsleitfaden, einen Ratgeber für spezifische Prozesssituationen
handelt. Dies leistet das gut 660 Seiten starke Werk zwar, aber nicht im
herkömmlichen Sinne eines Verfahrensskriptes. Das Buch lässt sich Zeit und
führt deutlich in die Tiefe des Verfahrens, insbesondere in die Tiefe der
Psyche, Motivationen und Denkmodelle der am Verfahren Beteiligten. Dadurch wird
nach und nach für jeden Verfahrensstand ein Denkrahmen abgesteckt, innerhalb
dessen sich eine sinnvolle, erfolgreiche Strafverteidigung erzielen lässt. Die
zahlreichen Tipps und Augenöffner, die der Verfasser aus seiner langjährigen
Praxis einfließen lässt, sind höchst wertvoll. Dies gilt nicht nur für
Neueinsteiger der Strafverteidigungspraxis, sondern auch bereits für langjährig
Aktive.

 

Das Buch ist nur grob in drei Kapitel untergliedert, nämlich die Theorie der
Strafverteidigung
, das Mandatsverhältnis und das Aktionsfeld der
Strafverteidigung
. Letzteres bildet den Hauptbestandteil des Werks. Im
erstgenannten Kapitel steckt der Verfasser die theoretischen Grenzen ab, innerhalb
derer Funktion und Selbstverständnis des Strafverteidigers, insbesondere zur
Abgrenzung gegenüber dem Gericht, zu finden sind, ebenso seine Stellung
innerhalb der Rechtsordnung und seine Bindung an den Mandanten, dem er
verpflichtet ist. Dadurch wird zugleich das Spannungsfeld offenbart, in dem
sich der Verteidiger bewegt. Der Autor führt die Probleme vor Augen: vom
Verteidiger, der vom Gericht als „renitent“ empfunden wird, als Störelement der
Verhandlung, über die Abgrenzung zulässiges/unzulässiges Verteidigerverhalten
bis zu möglichen Straftatbeständen, denen sich der Strafverteidiger ausgesetzt
sehen kann. Überall nimmt der Autor kritisch Stellung zu den Problemkreisen und
zeigt Verhaltensalternativen und Reaktionsmöglichkeiten. Das zweite Kapitel
widmet sich der Beziehung zum Mandanten im allgemeinen und in besonderen
Situationen. Hier finden sich Ratschläge auch zum Umgang mit dem inhaftierten
Mandanten oder zur vollwertigen Ausschöpfung des Rechts auf Akteneinsicht.

 

Herzstück ist jedoch ohne Frage das umfassende dritte Kapitel zum Aktionsfeld der
Strafverteidigung
vom Ermittlungsverfahren, durch die verschiedenen
Elemente der Hauptverhandlung, Berufung, Revision, Wiederaufnahme. Zu keinem
Zeitpunkt gleitet das Werk in ein StPO-Lehrbuch ab, sondern greift die
relevanten Vorschriften dankenswerterweise nur rudimentär auf und konzentriert
sich auf die rein praktische Anwendung. Sehr gelungen und bis aufs Äußerste
praxisnah ist die Darstellung der Rollenverteilung und der daraus
resultierenden Denkansätze der am Verfahren Beteiligten, wobei – neben dem
Verteidiger - ein besonderer Schwerpunkt beim Strafrichter gesetzt wird.
Besonders viel Honig saugen kann der Leser und Nutzer dieses Buchs aus der
Darstellung der verschiedenen psychologischen Blickwinkel. Die kognitiven und
emotionalen Erfahrungen der Beteiligten haben maßgeblich Auswirkung auf den
Gang des Verfahrens und eventuell auch auf dessen Ausgang. Praktisch wertvoll
in der tatsächlichen Nutzung im Gerichtssaal sind vor allem die zahlreichen Tipps
zur Kommunikation in der Hauptverhandlung. Der Verfasser gibt Hilfestellung zur
verbalen als auch zur nonverbalen Kommunikation und stellt völlig korrekt fest,
dass wir Menschen „nicht nicht kommunizieren“ können. Dass wir ständig –
bewusst oder unbewusst – Kommunikationssignale senden – und dies in der
Hauptverhandlung stets nur bewusst und zielgerichtet, mithin: professionell,
tun sollten. Die psychische Interaktion gerade zwischen Verteidigung und
Gericht wird wirklichkeitstreu und dezidiert dargestellt, Fallstricke und
Chancen sehr gut herausgearbeitet. Lesenswert sind insbesondere auch die
Ausführungen zur Fragetechnik bei der Anhörung von Zeugen und Sachverständigen. Die richtige Vorbereitung und Taktik werden hier sehr schön vermittelt.

 

Alles in allem ein hervorragendes Buch, das jedoch aber auch gelesen und erarbeitet
sein will. Dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen, denn der Autor begnügt
sich in der Regel nicht mit knappen Ausführungen, sondern steigt in die Tiefe
der Materie ein. Belohnt wird man im Gegenzug mit ausgesprochener
Nachhaltigkeit.

 

01.09.2011